Gegenpropaganda: Ukrainerin schaltet Werbung auf russischen Glücksspiel- und Pornoseiten

Posted on: 14/08/2022, 05:30h. 

Last updated on: 12/08/2022, 02:38h.

Mit einer ungewöhnlichen Kampagne bemüht sich die Ukrainerin Anastasiya Baydachenko, die Kreml-gesteuerte Internetzensur in Russland zu umgehen. Die CEO der ukrainischen Dependance des internationalen Wirtschaftsverbands Interactive Advertising Bureau (IAB) schaltet Werbeanzeigen auf russischsprachigen Glücksspiel- und Pornoseiten.

Laptop auf Schreibtisch
Mit Werbeanzeigen auf Glücksspiel-Seiten gegen russische Propaganda (Quelle: casino.org)

Baydachenkos Ansatz: Wenn Menschen in Russland und Belarus ohnehin offiziell verbotene Seiten nutzten, könne man ihnen dort auch einen Blick auf das Kriegsgeschehen abseits der staatlichen Propaganda ermöglichen.

Kriegsinformationen auf Glücksspiel-Seiten

Um der gezielten Desinformation des Kremls etwas entgegenzusetzen, hat sich die ukrainische Werberin Baydachenko darauf verlegt, Werbeanzeigen auf Porno- und Glücksspielseiten zu schalten. Die Anzeigen enthielten Standbilder oder Videosequenzen, die über die Situation in der Ukraine aufklären sollten, so das Magazin Business Insider [Seite auf Englisch] in dieser Woche.

Der Versuch der Aufklärung über die von Russen und Belarusen frequentierten Erwachsenen-Seiten sei sinnvoll, weil die Umsetzung erschwinglich und verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen sei. Auch wenn sie keine Möglichkeit habe, den Traffic zu analysieren, gehe sie davon aus, so Baydachenko, dass rund 80 % ihrer geschalteten Anzeigen Adressaten aus den beiden Ländern erreichten.

Business Insider gegenüber führte sie aus:

Wir sind der festen Überzeugung, dass wir versuchen sollten, wahrheitsgemäße Botschaften an diejenigen zu übermitteln, die jahrzehntelang unter staatlicher Propaganda gelitten haben (…) Adult- und Glücksspielseiten haben ein russisches Publikum, und Werbeplattformen können uns diesen Traffic verkaufen.

Weiter betonte Baydachenko, ihre Anzeigenkampagne gern auch auf größere Plattformen ausweiten zu wollen. Die deutlich strengeren Richtlinien von Anbietern wie Meta und Google erschwerten dies jedoch. Details zu den Inhalten, die auf den Werbeplätzen dargestellt werden, teilte Business Insider nicht mit.

Kreml beansprucht absolute Deutungshoheit

Bereits seit geraumer Zeit bemüht sich die russische Führung um absolute Informations- und Deutungshoheit gegenüber der eigenen Bevölkerung. Mittlerweile kontrolliert der Kreml alle noch verfügbaren konventionellen Medien, das Internet ist zur Zensurzone geworden.

Bereits vor vielen Jahren begann Russland, verstärkt Websperren für missliebige Seiten einzurichten. Darunter befinden sich neben unabhängigen Informationsangeboten auch diverse Porno- und Glücksspielseiten.

Das Glücksspiel ist in Russland lediglich in Casinos in fünf ausgewiesenen Zonen erlaubt. Sportwetten dürfen online über ein zentrales System für russische Buchmacher angeboten werden. Ansonsten ist das Spiel im Netz verboten. Da Russland mit seinen gut 144 Mio. Einwohnern einen lukrativen Markt darstellt, existieren jedoch unzählige ausländische Online-Glücksspiel-Angebote, die sich an die russische Bevölkerung richten.

Im Zuge des Angriffs auf die Ukraine hat der Kreml die Zügel der ohnehin stark eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit weiter angezogen. Ein im März verabschiedetes neues Mediengesetz umfasst drakonische Strafen bei Verbreitung angeblicher Falschmeldungen.

Wer in seiner Berichterstattung über den Krieg, der in Russland nicht als solcher bezeichnet werden darf, nicht der Erzählung des Kremls folgt, kann mit 15 Jahren Haft bestraft werden.

Inwieweit Anastasiya Baydachenkos Bemühungen, den Informationskrieg über Werbung auf Glücksspiel- und Pornoseiten zu beeinflussen, Früchte tragen, ist schwer einzuschätzen. Experten warnen, dass der Versuch, die russische Bevölkerung mit zu zielgerichteten Kampagnen zum Ukraine-Krieg zu erreichen, von den Adressaten als feindliche Propaganda abgetan und so zur Stärkung des Kreml-Narratives beitragen könnte.

Fraglich dürfte auch sein, ob Menschen, wenn sie Zerstreuung auf Glücksspiel- oder Pornoseiten suchen, besonders ansprechbar für Kriegsinformationen sind.