Eine unendliche Geschichte? Österreich, Ibiza und die Causa Casinos im Jahr 2021

Posted on: 02/01/2022, 05:30h. 

Last updated on: 24/12/2021, 09:24h.

Im Frühjahr 2019 erschien ein mittelweile als Ibiza-Video in den Sprachgebrauch eingegangener geheimer Gesprächsmitschnitt, der die damalige österreichische Regierung zu Fall bringen und viele Fragen aufwerfen sollte. Mit ins Rollen gebracht hatte den Skandal eine lapidare Bemerkung des FPÖ-Politikers und späteren Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, nach der der Glücksspiel-Konzern Novomatic „sie alle zahle“.

Screenshot Ibiza Video Strache Gudenus
Die Affäre um “Ibiza” und Glücksspiel-Betreiber Casag geht 2022 ins dritte Jahr (Quelle: Der SPIEGEL/Süddeutsche Zeitung)

Es folgten zahlreiche Ermittlungen im Umfeld der teilstaatlichen Casinos Austria AG (Casag) und in den höchsten Ebenen der Politik. Auch 2021 warf die Affäre noch ihren langen Schatten auf Österreich, denn sie war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Prozesse.

Dutzende Beschuldigte bei Causa Casag

Recherchen der österreichischen Zeitung Die Presse zufolge ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Rahmen der „Causa Casinos“ oder wahlweise auch „Causa Postenschacher“ aktuell gegen rund 50 Personen.

Ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen vor allem die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Berufung des FPÖ-Politikers Peter Sidlo zum Casag-Finanzvorstand im März 2019.

Unter den Beschuldigten befindet sich neben weiteren prominenten Namen aus österreichischer Politik und Wirtschaft auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Es steht der Verdacht im Raum, dass er vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht die vollständige Wahrheit zur Causa Casinos gesagt haben könnte.

Kurz hatte im Oktober sein Amt als Bundeskanzler aufgegeben, im Dezember folgte der Rücktritt von der Spitze der ÖVP. Seine Entscheidung erklärte er damit, nicht mehr mit „100 % Begeisterung dabei zu sein“. Zudem sei dem frischgebackenen Vater bewusst geworden, „wie viel Schönes es abseits der Politik“ gebe.

Zuvor hatte das Parlament die Immunität des Ex-Kanzlers aufgehoben. Ermittlungen im Rahmen der Ibiza-Affäre hatten den Verdacht aufgeworfen, Kurz bzw. sein enges politisches Umfeld könne im Vorfeld von Wahlen Geld aus der Staatskasse für positive Medienberichterstattung gezahlt haben. Kurz weist die Vorwürfe von sich.

Im Rahmen der Veröffentlichung des Ibiza-Videos hatten unter anderem anonyme Anzeigen den Verdacht aufgeworfen, dass es bei der Bestellung Sidlos zu einer Art „Postenschacher“ gekommen sei. So sei der FPÖ-Mann auf Initiative des damaligen Anteilseigners Novomatic in den Vorstand aufgestiegen, obwohl ein eigens engagierter Personalberater ihn explizit als nicht qualifiziert eingeschätzt hatte.

Im Gegenzug, so die Vermutung, sollten Vertreter von ÖVP und FPÖ dem Casag-Anteilseigner Novomatic politisches Entgegenkommen signalisiert haben. Dies belegten eine Vielzahl von Textnachrichten zwischen mutmaßlich Beteiligten. Unter anderem sei es um Themen wie künftige Online-Glücksspiel-Lizenzen und die Wiedereinführung des Automatenspiels in Wien gegangen.

Die in diesem Zusammenhang genannten Personen und Unternehmen bestreiten, dass es zu widerrechtlichen Absprachen gekommen sei. Von einer Entspannung der Situation konnte dennoch auch 2021 keine Rede sein.

Streit um Millionen: Sidlo vs. Casag vor Gericht

So beschäftigte die Beziehung zwischen österreichischer Glücksspiel-Branche und Politik unter anderem das Handelsgericht Wien. Hier klagte der bereits im November 2019, seines Erachtens unrechtmäßig, von seinem Posten abberufene Peter Sidlo gegen seinen einstigen Arbeitgeber Casag.

Die Forderungen belaufen sich auf 2,3 Mio. EUR. Die Summe ergebe sich dem FPÖ-Politiker zufolge aus Gehaltsansprüchen und zugesagten Bonuszahlungen, die ihm aufgrund des vorzeitigen Vertragsendes zustünden.

Während des Zivilprozesses hatten unter anderem Ex-Casag-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner und die noch amtierende Casag-Vorstandschefin Bettina Glatz-Kremsner ausgesagt. Beide erklärten, keine Kenntnis von möglichen Absprachen zwischen Anteilseigner Novomatic und der ÖVP/FPÖ-Regierung gehabt zu haben.

Bettina Glatz-Kremsner arbeitet seit 1990 bei den Österreichischen Lotterien. Auf ihrem Karriereweg war sei unter anderem Geschäftsführerin der damaligen ungarischen Lotterien-Tochter Lotto Union und Vorstandsdirektorin der Österreichischen Lotterien.

2010 trat Glatz-Kremsner dem Vorstand der Casag bei, seit 2013 sitzt sie im Aufsichtsrat der Casinos Austria Holding GmbH. Im Mai 2019 wurde sie Generaldirektorin der Casinos Austria und Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Lotterien.

Im November 2021 teilte Glatz-Kremsner mit, nach Auslaufen ihres Vertrages im April 2022 nicht mehr als Generaldirektorin zur Verfügung zu stehen. Ihr folgt der Niederländer Erwin van Lambaart, seit 2016 CEO der staatlichen Holland Casino.

Das Urteil, so kündigte die zuständige Richterin im Oktober an, werde schriftlich ergehen. Bislang scheint es kein Update zu geben.

Die Casag und der Pokerkönig

Mensch mischt Karten
Auch im Falle des “Poker-Königs” hätten die Karten neu gemischt werden sollen (Quelle:unsplash.com/Marin Tulard)

Weitere mögliche Unstimmigkeiten im Rahmen der Causa Casinos förderte die WKStA laut Medienberichten im Mai zutage. So berichtete unter anderem Der Standard, dass es auch zwischen dem sogenannten Pokerkönig Peter Zanoni und Vertretern von FPÖ und ÖVP zu intensiven Gesprächen gekommen sei.

Zanoni hatte über Jahre aufgrund des Betriebs seiner Pokerräume, der Concord Card Casinos, heftige Konflikte mit österreichischen Steuerbehörden ausgetragen.

Angeblich habe sich der FPÖ-Staatssekretär im Finanzministerium, Hubert Fuchs, bei der damaligen ÖVP-Vizeobfrau Glatz-Kremsner für einen Gesetzentwurf starkgemacht haben, der Zanoni eindeutig zugutegekommen wäre.

Dem Standard zufolge habe ein Mitarbeiter später mit Blick auf Glatz-Kremsner angegeben:

Sie teilte uns mit, dass sie zusammenschreiben würde, wie er das formulieren müsste, damit er seine Lizenzen verlängert bekommen würde.

Im Hintergrund sei auch hier Heinz-Christian Strache aktiv gewesen. Letztlich habe es der Entwurf jedoch nicht zur Umsetzung gebracht.

Mutmaßlicher Ibiza-Whistleblower vor Gericht

Einen weiteren Ibiza-Schauplatz bot 2021 das Landgericht in St. Pölten. Hier muss sich seit September der mutmaßliche Drahtzieher des Ibiza-Videos verantworten. Julian Hessenthaler werden Drogendelikte vorgeworfen. Er soll in den Jahren 2017 und 2018 mit Kokain gehandelt haben.

Im Prozess kam auch ein dem Glücksspiel-Konzern Novomatic nahestehender Detektiv als Zeuge zu Wort. Er habe nach den Hintermännern des Videos gesucht und dabei auch Geld an Informanten aus dem Umfeld Hessenthalers gezahlt. Die Ibiza-Ermittlungen sollen hervorgebracht haben, dass der Detektiv in der Vergangenheit im engen Austausch mit Novomatic sowie dem Strache-Vertrauten und Ibiza-Protagonisten Johann Gudenus gestanden habe.

Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen sehen in dem Verfahren den Versuch, Hessenthaler für seine Aktivitäten als Whistleblower abzustrafen.

Ob Ibiza-Affäre, Causa Casinos, Causa Postenschacher oder neuerdings auch Causa Kurz; was genau sich in den Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik in Österreich zugetragen haben könnte, bleibt für den externen Beobachter rätselhaft. Ob das Jahr 2022, oder auch „Jahr 3 nach Ibiza“, mit Antworten oder doch eher noch mehr Fragen aufwarten wird, bleibt vorerst abzuwarten.